«Anderes Wissen» für die Digitalisierung

twice sprach für seine Herbstausgabe mit Professor Martin Vetterli, Präsident der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL), über Bildung im Zeitalter der digitalen Transformation.

Von Andreas Maeder

Herr Professor Vetterli, viele befürchten, dass mit dem digitalen Wandel Jobs von Maschinen und Robotern erledigt werden. Teilen Sie diese Befürchtungen?

Nein, diese Befürchtungen teile ich nicht. Aber ich bin überzeugt, dass sich durch die Digitalisierung die Jobprofile und die Anforderungen an die Bildung verändern werden. Die Angst, dass menschliche Arbeit maschinell ersetzt werden könnte, ist kein Phänomen der Digitalisierung, sondern ein wiederkehrendes Motiv in der Wirtschaftsgeschichte.

Wie wird der digitale Wandel die Berufsbilder verändern?

Wie gesagt, hat bislang jede technologische Revolution eine Veränderung in der Gesellschaft und damit auch in der Bildung mit sich gebracht. So hat beispielsweise die industrielle Revolution dazu geführt, dass wir uns von der Landwirtschaft zu einem der wichtigsten Standorte in der Medizintechnologie, der Pharmaforschung und den Ingenieurwissenschaften entwickelten.

Welche Schlüsselkompetenzen braucht es in Zukunft?

Die Digitalisierung führt dazu, dass umfassendes Wissen und übergreifende Kompetenzen in den Berufen immer wichtiger werden. Aufgrund der schnellen technologischen Fortschritte können bereits heute immer mehr Aufgaben automatisiert werden. Wenn standardisierte, repetitive Arbeiten wegfallen, gewinnen die typisch menschlichen Fähigkeiten – und damit auch die Angestellten für den Arbeitgeber an Bedeutung. Spezialisierte Fachkräfte werden deshalb immer weniger austauschbar.

Sind wir mit unserem Schulsystem gut darauf vorbereitet?

Ein gutes, für alle zugängliches Bildungssystem ist die wichtigste Voraussetzung, dass niemand den Anschluss an die digitale Zukunft verpasst. Mit unserem heutigen Schulsystem und dem Lehrplan 21 bringen wir gute Voraussetzungen mit. Gleichwohl muss sich das Bildungssystem rasch auf die Kompetenzen, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind, ausrichten. War im 19. Jahrhundert die Arithmetik eine wichtige Voraussetzung für die Industrialisierung der Schweiz, so ist es heute wichtig, dass Schülerinnen und Schüler über grundlegende Informatikkompetenzen verfügen und lernen, mit computergesteuerten Geräten umzugehen.

Welche Art von Unterricht wünschen Sie sich für die Zukunft?

Kinder müssen lernen, Probleme methodisch so zurechtzulegen, dass sie nach bestimmten formalen Vorgaben auch von einem Computer gelöst werden können. Mit unserem Fach «Computational Thinking» an der EPFL lernen die Studierenden Werkzeuge kennen, um Probleme zu eruieren und Lösungen dafür zu finden. Diese Fähigkeit wird in der digitalisierten Welt immer wichtiger. Und dies muss auch im Unterricht in der Grundausbildung Eingang finden.